Freiheit trotz festem Wohnsitz?
Seit einigen Tagen ist 2020 nun Vergangenheit. Ein Jahr, das für uns eine große Änderung bedeutete. Uns war schon Ende März klar, dass es nicht nur Wochen oder Monate Einschnitte in die Reisefreiheit geben wird, sondern vermutlich Jahre. Keine Verschwörung, nur eine ganz einfache mathematische Rechnung bzgl. Herdenimmunität unter Einbezug des Parameters Mutation.
Nach dem Loslassen von unserem freien Reisetraum verbunden mit einem starken seelischen Schmerz, wandten wir uns unserem neuen Abenteuer zu: Minimalistische Sesshaftigkeit. Wie fühlen wir uns damit und gelingt uns eine minimalistische Lebensweise oder hat uns die menschliche Sammelleidenschaft wieder eingeholt?
Mit Mut in unseren nächsten Lebensabschnitt
Während die Entscheidung, das Reisen vorerst einzustellen, einerseits der inneren Stimme und andererseits der Vernunft zu gleichen Teilen geschuldet war, geschah die Wahl unseres künftigen Lebensortes ausschließlich nach Intuition.
Es standen mehrere Optionen zur Auswahl, unsere inneren Stimmen entschieden einstimmig. Das alles geschah noch, während wir in Portugal gestrandet waren. Wir kannten weder den Ort, die „Schule“, die Gegend noch hatten wir die Wohnung live besichtigt, für die wir letztendlich aus der Ferne den Mietvertrag unterschrieben.
Ich persönlich finde nach wie vor, dass dies das Verrückteste und Mutigste war, was wir seit Reisebeginn 2017 taten.
Herzwärts ist die richtige Richtung
Unser Bauchgefühl hat uns nicht getäuscht.
Wir haben einen Lebensort gefunden, den wir gedanklich schon immer gesucht haben. Landschaftlich, nachbarschaftlich, menschlich und vor allem Lunas Lernort: Volltreffer, mitten ins Schwarze.
Wir fühlten uns direkt nach Ankunft zu Hause und dieses Gefühl ist bis heute geblieben und wird intensiver.
Lunas Schule ist ein wahrgewordener Traum von freiem Lernen und einer sehr ausgewogenen Mischung aus Anregung und Selbstbestimmtheit.
Dazu werde ich demnächst einen eigenen Beitrag verfassen, denn die Spatzenschule (Konzept nach C. Freinet) hat noch Aufnahmekapazitäten in jedem Jahrgang.
Sehnsucht
Das Reisen fehlt uns, also mir und Frank. Luna will aktuell auf gar keinen Fall herumdüsen.
Besonders schmerzlich ist die Erkenntnis, dass nicht einmal die Ferien zum Reisen einladen. Wir haben klare Vorstellungen vom freien Reisen, die wir mit der derzeitigen politischen Lage nicht in Einklang bringen können. Es wird noch einige Zeit vergehen, bis wir eine Lösung finden werden. Umso glücklicher sind wir, in einem warmen Nest zu sitzen.
Minimalistisch, maximalistisch oder irgendwas dazwischen?
Am 25.05.2020 bezogen wir unsere Wohnung, also vor knapp 8 Monaten. Es ist eine 3-Zimmerwohnung mit 55 qm.
Menschen, die uns besuchen, sind meist erstaunt und eine neue Bekannte, die erstmalig bei uns war, sagte mir: „Du brauchst dich nicht schämen, dass ihr so wenige Möbel habt.“ Meine Antwort: “Ich schäme mich nicht, ich bin wahnsinnig stolz, dass wir uns nicht wieder vollgestellt haben mit unnützen Dingen.“
Lunas Zimmer ist 15 qm groß und sie richtete es selbst ein. Von Minimalismus ist in diesem Zimmer definitiv keine Spur. Es ist ein ganz normales Teenagerzimmer.
Die beiden anderen Zimmer haben wir unkonventionell bestückt. Das kleinste Zimmer mit 8 qm beinhaltete anfangs nur einen Schrank für Franks und meine Kleidung.
Im Dezember ist es jedoch zum Hobbyzimmer avanciert. Wir besorgten einen Basteltisch, die Nähmaschine fand einen festen Platz und mein heißgeliebter Campingstuhl wurde zum chilligen Sessel bestimmt. Ein Rückzugsort zum kreativ sein oder entspannen.
Das größte Zimmer mit 18 qm ist ein „Lebensraum“.
Hier stehen Franks und mein Bett, aber auch der Esstisch. Ja, wir empfangen unsere Gäste im halben Schlafzimmer.
Das Zimmer ist ideal zum Schlafen und wir persönlich brauchen einfach keine Couch. Wozu? Wir sitzen gern auf der Erde und extra für Gäste Möbel anschaffen? Neee, diesem gesellschaftlichen Zwang sind wir entwachsen.
Wir richten uns so ein, wie es uns gefällt. Genau dieses Zimmer erntet dann natürlich erstmal Blicke und auch Kommentare. Aber ich kann sagen, unser Bett kommt bei groß und klein sehr gut an und nach anfänglicher Zurückhaltung liegen Besucher dann doch gern darauf oder hüpfen drin herum.
Küchenmöbel und Herd waren bereits in der Wohnung. Die haben wir behalten, auch wenn sie schon mindestens 30 Jahre alt sind. Sie erfüllen ihren Zweck.
Alle unsere Möbel sind entweder Geschenke von Freunden oder aus der Rubrik „Verschenken“ bei den Kleinanzeigen.
Unsere Lampen und vieles mehr ist selbstkreiert.
Matratzen, Kühlschrank und Waschmaschine haben wir neu gekauft und ich habe mir Anfang 2021 einen Hochleistungsmixer gegönnt. Ansonsten ist alles für 3 Personen konzipiert. Von der Anzahl des Geschirrs, zur Bettwäsche, zu Sitzgelegenheiten und Handtücher; wie im Wohnmobil.
Die Wohnung wäre innerhalb von 2 Stunden ausgeräumt. Ja, wir haben den Minimalismus beibehalten und in unserer Wohnung befinden sich nur Dinge, die wir wirklich regelmäßig nutzen (also mind. 1 x pro Woche).
Den Wert einer Waschmaschine weiß ich sehr zu schätzen und sie ist meine offizielle Göttin. Dauerreisende werden das nachvollziehen können.
Stressfrei minimalistisch
Für mich der wichtigste Faktor, den Minimalismus stressfrei leben zu können: mit Regalen arbeiten.
Ich halte es für eine Falle Schränke mit Türen zu verwenden. Denn erstens sehen wir nicht, was im Schrank ist (aus den Augen aus dem Sinn) und zweitens, wenn wir das, was im Schrank ist vor Staub schützen müssen, dann brauchen wir es nicht.
Ja, auch unser Kleiderschrank ist ein offenes System (mit Vorhang) und wären in der Küche nicht herkömmliche Möbel gewesen, hätte ich auch hier Regale verwendet.
Wir reduzieren unsere Dinge sogar noch. Wir haben immer noch so viel, dass ich vieles verkaufen oder verschenken kann. Ich frag mich immer wieder, wie hat das alles in Toni gepasst? Denn eingelagert hatten wir nur unsere Steuerunterlagen und Werkzeuge.
Fazit
Wir sind glücklich und nach wie vor fühlen wir uns frei, denn Freiheit hat keinen geografischen Bezug, es kommt auf die innere Einstellung an.
Den Traum vom Reisen träumen wir weiter und hoffen, dass wir eine Lösung für uns finden.
Ich persönlich träume noch von etwas Anderem, ein Traum völlig konträr zum Reisen oder vielleicht lässt es sich auch verbinden. Ich bin gespannt, was sich aus diesen beiden Träumen schlussendlich entwickelt.