Eine Frage der persönlichen Empfindung…
Im Zuge der Haushaltsauflösung begegnen wir vielen Menschen, wenn sie Dinge aus unserer Wohnung schleppen. Sie freuen sich über ein neues Stück und wir freuen uns, über den kleiner werdenden Ballast. Natürlich kommen wir mit ihnen ins Gespräch. Die meisten fragen uns direkt, warum wir fast unser gesamtes Hab und Gut weggeben. Die Reaktionen auf unsere Anwort: „Wir wohnen bald ausschließlich im Wohnmobil und reisen.“ sind unterschiedlich. Entweder: „Ohje, dann habt ihr fast gar nichts mehr. Wie schrecklich.“ Oder „Ja, das ist die richtige Einstellung. Wozu braucht man denn diese ganzen Dinge?“ (Bei denen greife ich schnell ein und erinnere sie daran, das soeben Erworbene unbedingt mitnehmen und sich noch mit dem Philosophieren über den Sinn des Kaufes bis nach Hause Zeit lassen.)
Die einen halten uns für arm, die anderen für reich. Beides auf unterschiedlichen Ebenen. Arm werden wir betrachtet, da wir kaum noch materielle Dinge besitzen und derzeit auf Matratzen auf dem Boden schlafen und Kleidung locker in 1 Tasche passt. Als reich werden wir angesehen, weil wir uns die Freiheit nehmen, das zu tun, was wir wollen; dem gesellschaftlichem Druck „besitzen zu müssen“, den Mittelfinger zeigen.
Neulich jedoch gab es eine Reaktion einer Frau, die mich nachdenklich machte. Wir kennen sie nicht, wissen nur, dass sie als Sozialarbeiterin für ihre Klienten bei uns Möbel abholte. Zu unserem zukünftigen Leben reagierte sie mit Bewunderung und sagte klar und deutlich: „Diese ganzen materiellen Dinge braucht kein Mensch. Wir haben alle viel zu viel. Das ist alles nur Ballast.“ Kurze Zeit später schilderte sie uns die Situation eines ihrer Klienten, der „gar nichts hat“; nur 3 Tassen, 4 Gläser, ein bißchen Besteck, Herd und Spüle aber keine Einbauküche und er schläft auf der Matratze am Boden. Ein so armer Mensch. Sie folgte meinem Blick auf unsere Matratzen am Boden und die leere Wohnung. „Warum empfindest du bei ihm Armut und bei uns nicht?“ Der Widerspruch war offensichtlich, doch sie hatte keine Antwort darauf und ich auch nicht. Doch diese Begegnung lässt mich nicht los. Wie wird Armut definiert? Als ich das recherchierte, klärte sich einiges für mich, denn es gibt 3 Arten von Armut: die absolute, die relative und die gefühlte. Unser Gespräch konnte ich in die Kategorie „gefühlte“ Armut einordnen. Ihr Klient versucht sich in die Gesellschaft zu integrieren während wir in eine andere Ebene eintauchen. So betrachtet, war es kein Widerspruch. Wir wählen frei den Minimalismus, er ist vorerst dazu gezwungen. Wir glücklich damit, er unglücklich.
Ich persönlich messe Reichtum und Armut normalerweise nicht anhand von Vermögen und Besitztümern. Trotzdem hat mich die Definition der absoluten Armut geschockt. Absolute Armut bedeutet ein Einkommen von 1 EUR/Tag. Von 8 Milliarden Menschen sind 1,2 Milliarden Menschen von absoluter Armut betroffen. So viele Menschen, die mit Sicherheit hungern, denen es körperlich und seelisch vermutlich nicht gut geht, denen keine Wahl bleibt, ob sie minimalistisch oder protzig leben wollen.
Wie reich ich sowohl im materiellen und im immateriellen Sinn bin. Wir leben selbst auf unseren 10 qm luxuriös. Ich bin dankbar für mein Leben und die Möglichkeit jeden Tag frei entscheiden zu können.