Wenn die Welt sich plötzlich langsamer dreht –
Manchmal ergibt sich der Sinn erst im Nachhinein. Manchmal kann man sein Verhalten einfach nicht erklären. Manchmal weiß man nicht, warum man etwas zwanghaft tun muss, denn wenn man es nicht tun würde, würde man irre werden.
Intuition
Dass unsere Reise 2017 begann, hatte einige Gründe. Einer davon war mein Bauchgefühl. Dieses sagte mir: Reise JETZT, bevor in 2-3 Jahren Krieg in Europa herrscht. Viele haben mich für diesen Satz belächelt. Sogar Frank. Ich hoffe auch inständig, dass mit Krieg eigentlich nur Chaos gemeint ist. Aber ja, ich war von diesem Gefühl getrieben, unsere Reisepläne zu forcieren. Denn eigentlich wollten wir erst 2019 los.
Im Januar 2020 meldete sich mein Bauchgefühl erneut. Unsere Ferienwohnung hatten wir bis Mitte Februar gemietet und es sprach nichts dagegen, noch in Hannover zu bleiben. Bis Ende Januar in mir eine unbeschreibliche Unruhe einsetzte und ich vehement verlangte, dass wir von einem Tag auf den anderen abreisen und sehr zügig durchfahren.
Wieder und wieder sagte und schrie ich, wir müssen JETZT fahren, sonst sehe ich Portugal nie wieder und ich wolle mich wenigstens verabschieden. Frank hielt mich für total durchgeknallt und fuhr bestimmt nur, damit ich nicht mehr schreie.
Wir erreichen Portugal bevor das Chaos ausbricht.
Der Stillstand
Von einem Tag auf den anderen erstarrt die Welt im Schockzustand, zwingt die Menschen in Isolation, verändert jedes Leben, jeden Alltag. Ob die Veränderung positiv oder negativ ist, mag ich nicht zu beurteilen. Es ist eine Veränderung.
Für uns ist es ein sehr großer Einschnitt, unser Reisen scheint beendet. Doch schnell kristallisiert sich raus, dass auch das Leben im Wohnmobil während der Krise nicht einfach zu bewerkstelligen ist.
Campingplätze und Stellplätze werden geschlossen. Wohnungen anmieten ist nicht mehr möglich. Auch Hotels nehmen niemanden mehr auf. Zu guter Letzt dürfen Campingfahrzeuge nur noch „nach Hause fahren“ oder auf privaten Grund unterschlüpfen.
Wohin ohne festen Wohnsitz?
Der Punkt ist, wir können nicht nach Hause fahren, weil wir es immer dabei haben. In Portugal sind geschätzt ca. 100.000 Menschen in der gleichen Situation wie wir. Einige versuchen das Land zu verlassen und scheiterten bis vor einigen Tagen an der spanischen Grenze. Spanien gewährte nicht einmal für Transit Einlass. Mittlerweile hören wir, dass es möglich sei, Spanien zu passieren.
Andere scheiterten an der französischen Grenze. Frankreich verlangt einen Wohnsitznachweis in z.B. Deutschland (haben wir natürlich nicht) und die Offenlegung der Route, von der man nicht abweichen darf. Einige unserer Bekannten harren seit Tagen im Grenzgebiet aus. Es ist eine große Ungewissheit, ob wir überhaupt Deutschland erreichen würden.
Die Warteschleife
In den ersten Tagen fühlte ich mich gehetzt, unerwünscht und hatte das Gefühl nicht Sein zu dürfen. Ich war völlig überfordert eine Entscheidung zu treffen. Das Chaos schlägt mir gewaltig auf den Magen, kann nichts mehr essen, ich fühle mich ausgelaugt und über die Maßen erschöpft.
Seit 5.3. befinden wir uns in einer Warteschleife und verbringen diese Zeit an unserem Lieblingssee im Alentejo zusammen mit 11 weiteren Rat- und Rastlosen. Wir warten. Worauf? Ich weiß es nicht.
Am 23.3. fällt dann die Entscheidung. Der Bürgermeister der nächstgelegenen Gemeinde kommt persönlich zu uns. Man merkt wie schwer es ihm fällt, uns mitzuteilen, dass wir den Stellplatz bis 27.3. verlassen müssen. Er hätte uns nicht weggeschickt, wenn es nicht eine Verordnung des Landes gegeben hätte.
Also stehen wir da und überlegen, was wir machen. Nach Deutschland durchschlagen oder Freunde um Unterschlupf bitten? Da ich seelisch und körperlich sehr angeschlagen bin und erstmal zur Ruhe kommen will, entscheiden wir uns vorerst für den Unterschlupf.
Noch am 23.3. trudeln wir bei unseren Freunden ein und werden mit offenen Armen empfangen. Ich bin überwältigt von der Menschlichkeit und Liebe, die uns entgegengebracht wird. Denn legal sind wir aktuell in keinem Land. Weder in Portugal noch in Deutschland.
Die Erholung
Nun sind wir schon 4 Tage hier und ich erhole mich sehr schnell. Auf diesem wundervollen und riesigen Grundstück bin ich umhüllt wie in einer Seifenblase und bekomme von der Welt draußen gar nichts mit. Wir lachen viel und genießen die Sonne.
Wenn ich die Bilder unserer letzten 2 ½ Jahre betrachte, habe ich ein Lächeln im Gesicht und denke „Yes, we did it.“ Nur manchmal, wenn ich den Wunsch habe, meine Füße in den Sand zu stecken und Meerluft zu atmen, fällt mir ein, dass das nicht möglich ist und eine traurige Sehnsucht erfüllt mich.
Dann mache ich mir Gedanken, wie es für uns weitergehen soll, womit ich mich auf Dauer wohlfühle, wo ich mich sehe. Auf Dauer versteckt leben, ist ganz sicher nicht mein Ding. Also heißt es abwarten, wie sich die Situation in den nächsten 2-3 Wochen entwickeln wird.
Ein Grundstück in Portugal zu kaufen, ist keine Option, da wir nicht wissen, wie sich die Lage nach der Krise entwickelt bzw. wann überhaupt nach der Krise ist.
Mein Bauch sagt aktuell, dass wir über kurz oder lang nach Deutschland fahren, aber mein Bauch ist noch kränklich. Definitiv.
Dankbarkeit
Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich den Beginn der Krise in meinem Lieblingsland verbringen kann. Die Portugiesen sind in Krisensituationen deutlich strukturierter und schneller. Hamsterkäufe oder leere Regale gibt es hier (noch?) nicht.
Mit Sonne und lieben Freunden lässt sich das Chaos viel leichter ertragen und die Gedanken in meinem Kopf sortieren sich oder verschwinden.
In Not fühlen wir uns nicht, dazu haben wir es viel zu gut und nicht wissen, wo man das Wohnmobil parkt, ist doch eher ein Luxusproblem.
Dankbar bin ich für die letzten Jahre und meine innerliche Veränderung. Obwohl ich kurzzeitig meine Balance verlor, so weiß ich doch, wir sind zu Lebenskünstlern avanciert. Wir sind frei, egal, ob wir reisen oder nicht. Wir brauchen keine Sicherheiten. Wir wissen, dass Türen sich öffnen, immer. Das haben wir die letzten Jahre fast täglich erlebt. Wir wissen, dass es weitergeht. Wie? Das wissen wir nicht, aber es geht weiter und meistens wird es sogar richtig gut.
Und wir sind gespannt, welche Gesellschaft sich aus der Krise heraus entwickelt. Haben wir gelernt? Oder machen wir weiter wie vorher? Wenn ich verfolge, wie schnell sich die Natur erholt, dann hoffe ich, dass wir gelernt haben oder solange isoliert sind, bis wir verstanden haben, dass nicht Klopapiermangel das Problem ist, dass es zu lösen gilt.
Bleibt gesund und froher Dinge. Eure Rosi
Hola!
Corona hat uns ja am Póvoa-Stausee eine persönliche Begegnung beschert. Nett war das, wenn auch unter skurrilen Bedingungen… Zufällig bin ich heut auf deinem/eurem Instagram gelandet und nun auf dem Blog und freu mich 🙂
Alles Liebe für euch!
Pia (mit Ilka & Zino im Bulli unterwegs)